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Vorwort:

Die Idylle

Ich werde geboren, ich bin ein kleiner Mensch, der das Licht der Welt erblickt. Bisher ist alles so gelaufen, wie die Natur es vorgesehen hat. Ich wurde gezeugt und bin im Schlaraffenland der Gebärmutter aufgewachsen. Doch dann wurde es mir zu eng im Bauch der Mutter und ich verließ ihn mit viel Anstrengung.

Bisher ist immer noch alles in Ordnung. Auch ich bin in Ordnung. Es gibt keinen Zweifel in mir oder an mir. Ich mache deutlich wenn ich zu Essen will, werde gestillt, am Körper getragen, kann die Haut meiner Mutter jederzeit spüren und höre ihren Herzschlag. Die Geräusche des Darms höre ich jetzt etwas anders, doch ich erinnere sie. Ja, ich werde von meiner Mutter getragen. Ich rieche sie, höre ihre Stimme, schmecke sie, ich bin vollkommen versorgt.

Mir fehlt es an nichts. So langsam werde ich älter und wähle auch einmal eine Zeit bei meinem Vater. Der riecht ganz anders, auch er ist mir vertraut. Die Stimme kenne ich ja schon lange, schon seit dem ich noch im Bauch meiner Mutter war.

Ich liege auf dem Boden und fange langsam an zu kriechen. Meine Mutter ist immer in Reichweite und wenn ich jetzt will, krabbele ich zu ihr und sie nimmt mich auf den Arm und säugt mich, trägt mich – ist einfach da.

Ich fühle mich sicher und es fehlt an nichts. Sie macht mich sauber, wenn ich mich geleert habe. Es ist manches Mal ein bisschen nass oder glitschig. Es ist alles so, wie ich es erwarte. Es gibt keine Überraschungen. Und doch ist alles neu für mich. Ich werde größer, mein Bewegungsradius wird größer. Ich spiele mit anderen Kindern, in meiner Größe und mit anderen.

Auch sie werden von ihren Eltern getragen und versorgt. Wir probieren aus, wir folgen unseren Impulsen und entdecken die Welt. Sie ist aufregend und wenn wir müde werden oder ein Schreck uns in die Glieder fährt, laufen wir zur Mutter und alles ist gut. Sie ist ja da.

Ja, so oder ähnlich könnten die ersten zwei Lebensjahre eines versorgten Menschen aussehen. Dieses Kind braucht keine Anerkennung oder Bestätigung für Geleistetes. Denn es ist per se anerkannt. Es erkennt sich selbst an, weil nie ein Zweifel an seiner Richtigkeit entstanden ist. Es musste sich nicht selbst in Zweifel ziehen, weil es versorgt wurde und nicht in einen Mangel kam, den es nicht selbst herbeigeführt hat, z.B. durch Entfernung von der Mutter. (siehe auch Jean Liedloff, “Auf der Suche nach dem verlorenen Glück!”)

Es kann erkennen, dass es im sicheren Rahmen der elterlichen Gewalt und Grenzen aufwächst. Es kann die Grenzen selbstständig erweitern und wird – sobald es das will – wieder von der Mutter oder einem anderen Gruppenmitglied versorgt. Die Versorgung erfolgt nur insoweit, wie es noch nicht in der Lage ist, es selbst zu tun. Ein älteres Mitglied der Gruppe oder Familie wird einem jüngeren keine Arbeit oder die Selbstversorgung abnehmen, die es selbst erledigen kann. Warum auch? Die älteren Mitglieder der Sippe sind bestrebt daran zu arbeiten, dem naturgemäßen Fluss entsprechend, den jüngeren zu mehr Selbstständigkeit zu verhelfen. Insofern werden sie sie nicht entmündigen oder sich kleiner fühlen lassen, indem sie ihnen Arbeiten abnehmen, die sie selbst erledigen können. So kann jeder einzelne Mensch Erfahrungen machen, ausprobieren, scheitern und es wieder probieren. Sein Scheitern führt nicht zur Selbstabwertung, weil er erstens erkennen kann, dass andere auch scheitern und es wieder versuchen bis es klappt und perfektioniert wird und zweitens, weil er sein Scheitern nicht mit seinem Selbstwert in Zusammenhang bringt. Seine Handlungen stehen in keinem positiven, wie negativen Zusammenhang mit dem eigenen Sein. Er ist kein besserer Mensch, weil er etwas besser kann, als andere.

Jeder Mensch hat seine besonderen Begabungen, Stärken und Schwächen, doch das innere Wissen um die eigene Vollständigkeit hängt damit nicht zusammen.

Das erlaubt eine unbegrenzte Freiheit des Ausprobierens. Dieser Mensch erlebt Selbstwirksamkeit und kann durchaus in Schwierigkeiten kommen oder erkennen müssen, dass er etwas nicht kann. Er wird nicht an seinem Selbstwert zweifeln.

Hauptwort:

Unsere Realität

Ein Säugling wird geboren. Er ist vollkommen; zumindest wird er sich selbst so erleben, denn er kann keinen Grund dafür haben, es nicht so zu erleben.

Selbst wenn er hässlich wäre, wenn ihm ein Arm fehlte oder ein Auge, selbst wenn er völlig missgestaltet wäre, hätte er von sich aus keinen Zweifel daran, vollkommen zu sein. Denn er kennt nur das, was er kennt und warum sollte es nicht in Ordnung sein, so zu sein wie er ist.

Dieses Baby weiß nicht nur, dass es vollkommen ist, so wie es ist, sondern es weiß auch, dass ihm eine vollkommene Versorgung seitens der Mutter (Natur, Eltern, Welt) zusteht. Es kann nicht anders, wie sollte es das auch, als zu erwarten, dass es am Körper der Mutter getragen wird und wenn es Hunger hat, gestillt zu werden. Es wird ständig am Körper getragen werden, so wie es von Eltern in Millionen von Jahren instinktiv gelernt wurde und ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Die Wahrheit dieser Aussagen kann man anhand von Studien über ursprüngliche Völker und bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen erfahren.

Dem Säugling steht es also als Naturgesetz zu, vollkommen versorgt zu werden. Dieses Naturgesetz erkennt er instinktiv. Er weiß, er muss an der Haut der Mutter getragen werden und an die Brust dürfen, wenn er in sich diesen Drang verspürt.

Doch die meisten von uns erfuhren diese Grundversorgung in unserer Gesellschaft und Kultur nicht.

Das hat zur Folge, dass uns etwas fehlt, was für unsere Entwicklung wesentlich ist.

Das Gesetz der Natur wird in unseren Kreisen immer wieder gebrochen und so kommt der Mensch an einem Punkt an dem er sagt – auch noch als Erwachsener sagt:

„Wenn dieses Gesetz nicht erfüllt wird und ich nicht das bekomme was mir zusteht, dann werde ich nicht erwachsen! Ich verweigere das! Ich bin nicht vollkommen vorsorgt und geliebt worden (so wie es mir zugestanden hätte). Es gibt einen Mangel, ein Loch in meiner wahren Identität. Ich fühle mich nicht angenommen, nicht gesehen. Und das, was mir fehlt will ich von außen, will ich von DIR haben!!” (Diese Haltung wird oft nur von anderen Menschen von außen erkannt. Sie ist in der Regel unbewusst. Und diese Menschen werden oft abgelehnt, denn jeder, der nicht daraus einen Gewinn erzielt, dass er dem anderen viel gibt, fühlt sich bald unwohl.)

Was bleibt einem jetzt übrig?

Der Zug ist abgefahren! Die Eltern werden es jetzt nicht mehr tun, doch selbst wenn sie es täten, es hätte keinen Erfolg mehr! Ich bin nicht mehr das Kind, was am Körper getragen werden kann.

Wenn ich jetzt erkenne, dass es darum geht angenommen zu werden, könnte ich mich doch einfach selbst annehmen. Ich könnte mich selbst vollkommen lieben.

Tatsächlich reicht genau dieses vollkommen aus!                    Warum tue ich es nicht?

Sie werden jetzt vielleicht sagen, dass das nicht geht. Das ich es nicht selbst tun kann. Doch es geht! Es gibt eine Menge Menschen, die dieses beweisen. In jedem Menschen ist die Möglichkeit, jederzeit in die eigene Zufriedenheit zu kommen, vollkommen angelegt. (Siehe auch meinen Artikel “Vom Opfer zum Schöpfer”)

Doch warum tue ich es nicht? Wenn ich hier ich sage, spreche ich für die Mehrzahl aller Menschen unseres Kulturkreises.

Meine Befürchtung ist, dass, sobald ich es aufgebe, von meiner Partnerin, meinem Partner, Chef, Freundin (immer stellvertretend für Mama oder Papa) doch noch das zu bekommen, was ich als Kind nicht bekommen habe, und es selbst schaffe es mir zu geben, verliere ich den Anspruch darauf, die Liebe und Anerkennung doch noch von jemand anderem zu bekommen. Ich gäbe dann meine Opferrolle auf. Eine Rolle, die ich befürchte dann nie mehr wieder einnehmen zu können.

Aus dieser Perspektive heraus glaube ich, dass ich dann noch unfreier werde. Und ich kann nur aus meinem derzeitigen Bewusstsein heraus in die Zukunft schauen. Und dieser Blick schließt die Erfahrung, die ich erst machen werde, wenn ich mich wirklich selbst versorge, nicht mit ein. Deshalb kann ich jetzt daraus nur schließen, dass ich dann alle Ansprüche aufgeben werde. Und dieses Risiko will ich nicht eingehen. Deshalb werde ich mich auf keinen Fall selbst vollkommen um mich kümmern und mich lieben, wie eine Mutter ihren Säugling liebt. Ich werde mich nicht mit all meinen Facetten, meinen scheinbaren Unvollkommenheiten selbst annehmen. Denn dann müsste ich es doch immer selbst machen. Nie mehr könnte ich mich darauf berufen, etwas von jemand anderem zu bekommen.

Das ist meine Befürchtung! (Ich bitte sie nicht, mir zu glauben, sondern forschen Sie in ihrer eigenen Tiefe nach!)

Doch genau das stimmt nicht!

Allerdings werde ich nicht mehr alles nur noch von einer Person haben wollen, von meinem Partner oder meiner Partnerin. Nein, ich bin dann in der Lage, durch verschiedene Menschen etwas zu bekommen. Ich bin nicht mehr auf einen oder zwei Menschen fixiert.

Ich bin nach wie vor in der Lage, um Hilfe zu bitten, doch bittet jetzt der Erwachsene in mir, nicht mehr das Kind. Und der Erwachsene weiß, dass er, sollte er eine Absage erhalten, jemand anderen fragen kann. Er ist nicht mehr abhängig davon, selbst Opfer zu sein, um etwas zu bekommen.

Tatsächlich haben viele von uns als Kinder erlebt, dass man nur etwas bekommt, wenn man Gewalt ausübt oder wenn man ein armes Opfer ist. Vielleicht haben wir das bei unseren Eltern gesehen.

Wenn ich Gewalt ausübe bin ich ein moralisch verwerflicher Mensch. Das will ich natürlich nicht sein (manche doch).

Wenn ich Opfer bin, bin ich moralisch auf der (scheinbar) sicheren Seite. Opfern steht man bei. Man wird sie doch nicht auch noch treten, wenn sie schon am Boden liegen. Und Opfer können (wollen) es nicht selbst machen. Sie können sich darauf berufen, dass es ja nicht schön sei Opfer zu sein. Keiner will doch freiwillig gerne Opfer sein.

Stimmt das wirklich? Und was, wenn Sie herausfinden, dass es doch um Opferkonkurrenz geht? Was ist, wenn ich doch stets (oft) darauf achten muss, dass es mir selbst doch wenigstens ein kleines bisschen schlechter geht, als dem anderen?

Ich bitte Sie an diesem Punkt einmal in die tiefsten Tiefen ihrer Selbstwahrnehmung hinein zu gehen und zu forschen. Gibt es vielleicht eine Seite in Ihnen, die Angst hat vor der eigenen Größe und Stärke; Angst davor, wirklich mit den eigenen Ideen, Wünschen, Bedürfnissen, sowie auch mit der echten Eigenständigkeit und Unabhängigkeit in die Welt zu gehen und sich damit zu zeigen?

Schlusswort:

Alles bietet Möglichkeiten

Unsere Geschichte können wir nicht ändern. Wir können sie jedoch neu bewerten. Wir können sehen, dass wir durch die frühen Erfahrungen eine Menge gelernt haben. Und wir haben überlebt. Unsere Eltern haben es so gut gemacht, wie sie konnten. Können wir das sehen? Oder werfen wir ihnen noch etwas vor?

Jetzt können wir uns selbst versorgen lernen. Wir können uns sogar selbst streicheln, berühren, mit uns sprechen (mit dem immer noch unversorgten inneren Kind in uns). Wir können uns selbst wahrnehmen und unseren Schmerz, unsere Traurigkeit, unsere Hilflosigkeit bereitwillig annehmen, uns    selbst    damit    annehmen. Wir zeigen uns dann, dass wir jetzt selbst für uns sorgen können und nicht mehr darauf warten, von unserem Partner oder unserer Partnerin etwas zu bekommen, was uns vervollständigt.

Folgen Sie dem und sie bekommen von mir die Garantie, dass sie sich sehr viel wohler und freier fühlen werden. Und dass sie jetzt wirklich in Liebesbeziehungen eintreten können, die nicht mehr geprägt sind von Abhängigkeit.

Probieren Sie es aus! Nur so werden Sie es erfahren!

Peter Hellwig Okt. 2006, überarbeitet Dez. 2009

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