1. Zwei Bewegungen in der Welt
In meiner unmittelbaren Umgebung beobachte ich zwei deutlich voneinander unterscheidbare Entwicklungen im Menschsein:
Da sind Menschen, die sich zunehmend mit sich selbst wohlfühlen. Menschen, bei denen die Identifikation mit ihren Rollen, mit früheren Verletzungen und mentalen Konzepten spürbar zurücktritt. Es ist, als ob sich in ihnen ein anderes Bewusstsein öffnet – freier, durchlässiger, essenzieller. Sie erkennen, dass sie nicht ihre Gedanken sind, nicht ihre Geschichten, nicht ihre Symptome.
Und zugleich gibt es Menschen, die im inneren Kampf gefangen sind, die sich mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht aushalten können. Eine junge Frau in meinem Umfeld sagt mir regelmäßig, dass sie am liebsten nicht mehr leben möchte – weil sie unter der Last ihrer selbst erzeugten inneren Bilder leidet.
Was ist das, was hier sichtbar wird? Es sind zwei Bewegungen: Eine, die an alten Identifikationen festhält – und eine, die sich davon löst. Die zweite Bewegung scheint sich immer deutlicher zu zeigen.
2. Der Glaube an Verfall und Mangel schwindet
Ich selbst löse mich zunehmend von vielen alten Gedanken:
– dass mein Körper automatisch altert, weil der Kalender es sagt
– dass ich mich anstrengen muss, um wirtschaftlich versorgt zu sein
– dass ich kämpfen muss, um geliebt oder angenommen zu werden
– dass die Welt schlechter wird, weil das Ego übermächtig wird
Ich löse mich von der Vorstellung, dass Kapitalismus, Patriarchat oder äußere Machtstrukturen das letzte Wort haben. Ich erkenne, dass nicht die äußeren Umstände mein Erleben bestimmen, sondern meine Identifikation mit bestimmten Vorstellungen über mich und die Welt.
Immer mehr Menschen erleben genau das: Sie erkennen sich selbst jenseits ihrer Gedanken. Sie erleben sich als Bewusstsein – als Liebe, als Raum, als Teil einer größeren Bewegung.
3. Kollektives Bewusstsein: Das Alte bäumt sich auf
Natürlich gibt es auch das kollektive Bewusstsein – und dort sind viele alte Strukturen noch wirksam:
– Der Glaube, dass der Mensch gesteuert werden müsse
– Die Vorstellung, dass Kontrolle, Gehorsam und Disziplin nötig seien
– Das Misstrauen in die Selbstregulation des Lebens
– Der Gedanke, dass Freiheit gefährlich sei
Diese Gedanken haben jahrhundertelang das kollektive Feld geprägt. Sie bilden die Grundlage für politische Machtausübung, für die Manipulation durch Medien, für die Dominanz von Profit über Würde.
Doch diese Strukturen wissen – auf eine unbewusste Weise – dass ihre Zeit abläuft. Und genau deshalb bäumen sie sich auf. Wie ein verletztes Tier, das seine Kraft zusammennimmt, um ein letztes Mal zu beißen.
Wir sehen das in der Aufrüstung der Staaten. In der Gewalt der Systeme. In der Kälte mancher politischen Entscheidungen.
Doch all das ist nicht das Ende – es ist ein Übergang.
4. Die Evolution drängt nach vorn – auch wenn sie noch nicht überall sichtbar ist
Die eigentliche Bewegung dieser Zeit ist die Evolution. Und Evolution bedeutet: Mehr Freiheit. Mehr Verbindung. Mehr Bewusstheit.
Überall auf der Welt entstehen neue Felder, neue Gemeinschaften, neue Räume, in denen Achtsamkeit, Liebe, Transparenz und gegenseitiges Erkennen gelebt werden. Noch sind diese Felder oft unsichtbar für die Massenmedien – aber sie existieren, sie wachsen, sie strahlen.
Der Austausch zwischen individuellem und kollektivem Bewusstsein ist dabei zentral. Was ein Mensch heilt, klärt, durchlebt, hat immer auch Auswirkungen auf das Feld. Und was im kollektiven Feld in Bewegung gerät, wirkt zurück auf den Einzelnen.
Es gibt ein mystisches Gesetz, das in allem wirkt: Das Leben ist auf Entwicklung ausgerichtet. Evolution ist unausweichlich.
5. Trauma, Rolle, Ich – und das Wiedererwachen der Essenz
Was uns individuell wie kollektiv oft noch bindet, sind Traumata. Alte Schmerzen. Unterbrochene Bindungen.
Wenn etwa ein Kind nicht gesehen oder verlassen wird, wenn das Säugetier Mensch nicht gehalten wird – dann entsteht eine Identifikation. Ein Ich. Ein Bild von mir. Ein Überlebensmechanismus.
Und jedes Ich, das so entsteht, enthält ein Stück Schmerz, ein Gefühl von Getrenntheit.
Das Ich schützt sich vor diesem Schmerz, indem es bestimmte Gefühle verdrängt: Scham, Angst, Wut, Trauer – aber oft auch Freude und Intensität.
Denn das, was wir als Intensität erleben, war früher vielleicht nicht aushaltbar.
Doch all das ist heilbar. Und es wird geheilt – in immer mehr Menschen.
Wenn diese Identifikationen durchschaut werden, wenn die Gefühle wieder gefühlt werden dürfen, wenn die Trennung innerlich aufhört – dann kehren wir zurück. In uns selbst. In das, was nie getrennt war.
Das ist der Weg – individuell wie kollektiv.
Und er ist längst im Gange.
Peter Hellwig, Juli 2025