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Ich spreche im Folgenden der Einfachheit halber von mir als Betroffenen (hypothetisch) und beschreibe daneben, welche Mechanismen im Menschen ablaufen können.

Ich, ein Mann mit 49 Jahren, in Beziehung mit einer wunderbaren Frau und zwei Kindern, erfahre gerade von ihr, dass sie einen anderen Mann kennen gelernt hat, den sie sehr mag.

In mir gibt es augenblicklich heftige Reaktionen. Mein Herz schlägt wie verrückt. Ich kann mich kaum konzentrieren, sie weiterhin zu verstehen. Sie spricht darüber, dass sie sich vorstellen kann, mit ihm sogar mehr zu haben, als nur eine gute Freundschaft.

Meine Gedanken überschlagen sich und ich beginne zu schwitzen: Was meint sie damit? Will sie mich verlassen? Oder will sie mit ihm schlafen und auch mit mir zusammen bleiben?

Genüge ich ihr nicht mehr? Habe ich nicht genug getan?

Ich hätte doch öfter mal das Bad und die Küche sauber machen sollen? War ich achtsam genug in der Beziehung?

Vielleicht habe ich beim Sex doch nur zu sehr auf meine schnelle Befriedigung geachtet?

Hat sie mir vielleicht immer nur etwas vorgemacht? Ich habe in letzter Zeit nicht soviel Energie in meine körperliche Fitness gelegt, rächt sich das jetzt ….?

Was ist passiert?

Sie, meine von mir geliebte, wunderbare Frau hat mit einem anderen Menschen Kontakt aufgenommen und sie mag ihn. Es tut ihr offenbar gut, diesen anderen Mann kennen gelernt zu haben. Sie fühlt sich wohl mit ihm.
S i e   f ü h l t   s i c h    w o h l !

Es entsteht in mir ein innerer Dialog.

Ja, will ich denn nicht, dass sie sich wohl fühlt?

Schon, aber sie soll sich mit mir wohl fühlen!

Aber ich wollte doch immer, dass sie glücklich ist. Wieso kann ich denn nicht akzeptieren, dass sie (auch) mit diesem anderen glücklich ist?

Sie darf nur mit mir glücklich sein!

Was ist das für eine Aussage? Kann man denn Liebe oder Glück eingrenzen auf bestimmte Menschen oder Situationen? Können an Liebe Bedingungen geknüpft sein?

Nach dem Motto: Ich liebe dich nur, wenn Du dich so oder so einschränkst?

Sie hat mir doch versprochen, immer mit mir zusammen zu bleiben! Ich bin doch besonders für sie. Sie ist doch meine Einzige, Einzigartige. Wie kann sie denn das jetzt so beschmutzen?

Wie sagte schon Erich Fried in seinem schönen Gedicht: „Liebe ist ein Kind der Freiheit …”

Ohne Freiheit gibt es keine Liebe.

Also liebe ich sie gar nicht, denn ich empfinde gerade nicht die Bedingungslosigkeit, die die Liebe wirklich zur Liebe macht. Was ich empfinde ist nur Abhängigkeit. War das denn immer so?

Gab es überhaupt wirkliche Liebe zwischen uns, oder nur verschleierte Abhängigkeit?

Als ich sie weiter anhöre, erfahre ich, dass sie mich immer noch genau so liebt, doch den anderen mag sie auch.

Wie geht denn das? Kann man denn gleichzeitig mehrere Menschen lieben?

Ich denke über die Situation nach und merke, dass ich ihr oder dem Kerl an die Gurgel gehen könnte. Was soll das? Hat sie mich bisher immer nur verarscht?

So, oder ähnlich könnte die Reaktion eines Menschen sein, der eine solche Mitteilung plötzlich erfährt.

Wie kommt es, dass wir nicht wirklich wollen, dass unsere Partnerin oder unser Partner glücklich ist? Wieso stellen wir die Bedingung, dass er das nur mit uns sein darf? Das ist doch verrückt, oder?

Wenn wir gerade nicht in der Situation sind, von Eifersucht geplagt zu sein, können wir vermutlich beide beschriebenen Seiten verstehen. Einerseits bin ich total von der Rolle, wütend, hilflos, fühle mich wertlos, verlassen – und auf der anderen Seite frage ich mich, „wieso soll ein Mensch, den ich liebe, nicht glücklich sein dürfen mit seinen Vorstellungen vom Leben?”

Ich könnte gleich wieder einsteigen: „Natürlich soll sie glücklich sein, aber doch mit mir; das hat sie mir doch versprochen!”

Worum geht es?

Es sind zwei Seelen in meiner Brust! Eine Seite sagt dieses, die andere Das.

Schauen wir mal, wie das ganze entstanden ist:

Ein Kind wird geboren! Es geht, gemäß der natürlichen Gesetze davon aus, dass es naturgemäß versorgt wird. Es wird am Körper getragen werden, kann an der Brust saugen, wenn es Hunger hat, spürt den Herzschlag und die Wärme der Mutter. Es fühlt sich sicher und geborgen und bleibt es auch, bis es Lust hat, sich von der Mutter zu entfernen. Es geht spielen, die Umwelt erforschen und kommt zurück.

Das Kind geht gemäß der Naturgesetze, die biologisch in den Genen seit Äonen verankert sind, davon aus, dass es selbst für die Mutter einzigartig ist, dass sie alles tun wird, was in ihrer Macht steht, um es komplett zu versorgen und ihm kein Schaden noch Mangel entsteht. Das Kind weiß, dass es absolut besonders ist und dass diese natürliche Erwartung einfach erfüllt wird. Daran gibt es keinen Zweifel.

Gibt es das in unserer heutigen kulturellen Situation?

Kennen Sie Kinder, die diese naturgemäße Erfahrung machen durften?

Es gibt sie kaum! Alle haben wir die Erfahrung der Enttäuschung gemacht und bis heute nicht gelöst. Was geht in einem Kind vor, welches so enttäuscht wurde und immer wieder so enttäuscht wird, bis ins hohe Alter?

Immer wieder wiederholt es die gleiche Situation: Es sucht sich Gelegenheiten, in denen es erfahren will, voll und ganz angenommen zu werden! Und – was passiert? Das gleiche, wie immer: Es erfährt, dass es doch nicht bedingungslos angenommen wird, so wie es ist.

So geht es nun auch mir – oder besser gesagt, dem Anteil in mir, der immer noch die Erwartung der Erfüllung des Naturgesetzes ersehnt! Das unversorgte Kind gibt es immer noch in mir. Es ist als Erwachsener getarnt. Es fällt meistens nicht auf und zeitweise ist es auch schon gut versorgt und dann bin ich wirklich erwachsen. Doch wenn das alte Muster, die alte Erfahrung wieder reaktiviert wird, durch die besonderen Umstände, dann gibt es meist nur noch das verlassene Kind und das schlägt mit Fug und Recht um sich. Denn jetzt kann es sich (scheinbar) wehren, damals war es nur hilflos ausgeliefert und hat allerlei Kompensationsmuster entwickelt, um den Schmerz des hilflos Ausgeliefertseins, nicht länger ertragen zu müssen.

Es hat sich seiner Gefühle von Trauer und Schmerz entledigt oder zumindest weitgehend abgespalten und reagiert scheinbar erwachsen.

Doch der Schein trügt. Wir sind alles andere als erwachsen, wenn wir dem anderen keine Freiheit lassen. Sind wir erwachsen, wenn wir glauben, dass wir es nicht aushalten könnten, wenn unser Partner uns verlässt? Sind wir erwachsen, wenn wir deshalb in Panik geraten, weil er oder sie mit jemand anderen angeregt spricht und dabei nett lächelt?

Nein, wir sind es nicht!

Es ist das unversorgte Kind in uns, dass sich bedroht fühlt, nicht der Erwachsene. Der würde klar auftreten. Der fühlt nicht die existenzielle Abhängigkeit, so wie das Kind sie fühlt. Wie sie das Kind natürlicherweise fühlte, wenn es als Säugling verlassen würde. Denn dann wäre es vom Tod bedroht – und was könnte existenzieller sein? Das Kleinkind hat also einen Anspruch auf Exklusivität; der Säugling will ganz und gar wichtigste Person im Leben der Mutter sein – so hat es die Natur eingerichtet. Und wenn diese Erwartung nicht erfüllt wird, harren wir ihrer Befriedigung bis ins hohe Alter, nicht selten bis zum Tod.

Können wir diese Zusammenhänge in aller Tiefe der Bedeutung erkennen?

Es gibt auch hier keine Lösung für die Situation! Jedoch gibt es Erkennen! Das Erkennen macht klar, dass dieser Augenblick, in dem meine Partnerin mir erzählt, dass sie sich in jemand anderen verliebt hat, mich nicht existenziell bedroht.

(Obwohl es stimmt, was ich hier schreibe, merke ich, wie schwer schon die Vorstellung davon ist, sich von dem alten Bild zu lösen.)

Ich bin erwachsen; ich kann mich selbst versorgen, mache es schon seit vielen Jahren. Viele schwierige Zeiten habe ich mehr oder weniger gut überstanden. Mein Überleben ist zum einen gesichert (also weshalb habe ich die existenzielle Angstreaktion, wenn nicht vom inneren Kind?) und andererseits will sie mich doch gar nicht verlassen.

In mir taucht wieder der Exklusivitätsanspruch (des Neugeborenen) auf. Der führt beim scheinbar erwachsenen Menschen zu Kampfreaktion oder zum Weglaufen.

So ist es, kann ich es erkennen?

Ich schaue es mir so lange an, bis ich die tiefe Wahrheit, die darin liegt, wirklich annehmen kann.

Mehr ist nicht zu tun.

Peter Hellwig

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