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Was kommt nach der Auseinandersetzung mit alten Geschichten in der Therapie?

Tja, was kommt danach? Die Erleuchtung sicherlich noch nicht, wenn es so etwas wirklich gibt.

Dennoch, geht es weiter in der Persönlichkeitsentwicklung.

Vielleicht ist es dann auch nicht wirklich mehr eine Persönlichkeitsentwicklung, sondern eine Erweiterung des Seins. Eine Form, die nicht mehr so sehr an die Persönlichkeit im herkömmlichen Sinne gebunden ist.

Möglicherweise lässt irgendetwas in mir dann auch los von alten Mustern, von an Erfahrung geknüpften Emotionen. Auch die körperlichen Beschwerden geben auf.

In meinem Erleben erfahre ich, dass die Ego-emotionalen Systeme nicht mehr so wirksam sind. Dazu gehören Identifikationen mit dem Denken und dem Fühlen alten Schmerzes und dem Körper. Es gibt auslösende Momente, z. Bsp. besteht die Gefahr, dass sich bestimmte wirtschaftliche Bereiche verändern und dieses löst eine alte existentielle Angst in mir aus. Früher war ich dann die Angst (oder „mich hatte die Angst”) und musste mit Aktivität und Kampf gegen diese Angst vorgehen oder sie vehement verdrängen. Das hieß, ich ließ die Angst kaum zu und wollte sie zudem möglichst schnell wieder weg haben.

Heute habe ich die Angst (oder besser gesagt: ein Anteil in mir ist in Angst) und es gibt die Möglichkeit, mich mit einem anderen Anteil meines Seins daneben zu stellen und die Angst zu betrachten und zu relativieren. Dieses könnte mit einem Wegreden der Angst verwechselt werden. Oder mit einer Verdrängung. Genau darum geht es in diesem Fall nicht. Sondern die integrierte Seite meines Seins erlaubt mir zu merken, dass diese Angst unbegründet ist. Sie entbehrt jeglicher realistischer Grundlage. Ich werde nicht zugrunde gehen, wenn dieses oder jenes wirtschaftliche Einkommen wegfällt.

Was kommt nun also nach der Aufarbeitung der alten emotionalen Wunden?

Zuerst einmal muss man für möglich halten, dass dieses der Fall ist. Wenn ich mich über Jahre, Jahrzehnte mit meinen alten Verletzungen herum geschlagen habe; sie erforscht und verflucht habe. Wenn ich meiner Mutter, meinem Vater oder meinen vergangenen Partnern in der Therapie zum x-ten Mal den Ärger, Hass oder Sonstiges gezeigt habe, dann ist es kaum vorstellbar, dass dieses jetzt vorbei sein soll.

Was wird zukünftig mein Lebensinhalt sein? Was, wenn ich nicht mehr darauf hoffen kann oder sogar nicht mehr will, dass doch noch einmal der Prinz, die Prinzessin kommt, um mich zu retten? Diese wären natürlich eh nur Ersatz für die entgangene Liebe von Mutter und Vater.

Die Antwort: Ruhe kehrt ein.

Es gibt kein Hetzen mehr. Ich muss nirgendwo besonders gut sein, richtig sein. Für wen auch? Ich muss mich nicht mehr anpassen in Bereichen, in denen ich mich verbiegen müsste, zugunsten meiner kompensatorischen Wünsche und Bedürfnisse.

Ich kann den Augenblick deutlicher wahrnehmen und spüren, was dieser gerade jetzt erfordert. Ich hänge ja nicht mehr in den alten Reaktionsmustern.

Ich kann in Beziehungen eintreten, die nicht saugend, schmarotzend oder Wiederholungen meiner alten Erfahrungen sind. Ich bin frei.

Doch wie ist es mir möglich, genau diese Erfahrungen zu machen?

Wie so oft ist alles schon da. Ich brauche nur eine Entscheidung.

Eine Entscheidung, die mir erlaubt, von den alten, liebgewonnenen Inhalten meines Lebens Abschied zu nehmen.

Wenn ich vielleicht über einen Zeitraum von zehn Jahren oder mehr in meinen frühkindlichen und späteren Erfahrungen und Verletzungen geforscht habe, geweint, geflucht, gelitten, getrauert und wütend war, dann haben diese Erfahrungen auch etwas sehr Vertrautes. Sie sind zu meinem neuen Zuhause geworden. Sie sind Teil meines Lebens, sie machen meinen Alltag in hohem Maße aus. Ich gewinne Anerkennung und Zuspruch von Anderen wenn ich in diesem Sinne im Leben bin.

Meine Therapeutin, mein Therapeut, meine Freunde, mit denen ich ähnliche Erfahrungen teilen kann, sind daran gewöhnt, dass ich mich so verhalte.

Manche sagen vielleicht seit Jahren: „nun musst Du doch auch mal mit der Therapie aufhören! Du bist ja total abhängig davon!”

Andere sagen, dass es darum gehe, einmal richtig und damit entgültig in den Schmerz hineinzugehen.

Tja, was davon ist richtig?

Dennoch ist es irgendwann soweit!

Wenn ich mich weiter entwickeln will, muss ich mich aus dieser Gewohnheit verabschieden. Dieses kann sukzessiv geschehen oder aber mit einem klaren Schritt. Es braucht jedoch eine Entscheidung, ob bewusst oder unbewusst vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht ist es auch gleich. Die Veränderung wird sich zeigen, sobald diese Entscheidung getroffen wurde.

Doch was hindert mich, diese Entscheidung zu treffen?

Wenn ich auch oben dazu etwas ausgeführt habe, so denke ich doch, dass es einen besonderen Grund gibt. Dieser lautet:

Ich muss einen Preis dafür zahlen!

Welcher Preis könnte damit gemeint sein?

Ist er allgemein für jeden Betroffenen gleich oder individuell?

Eine direkte Antwort ist mir auch hier wieder nicht ohne weiteres möglich. Dennoch geht es darum, etwas aufzugeben. Oben habe ich es schon beschrieben.

Der Preis für die Erlangung der Unabhängigkeit ist die Aufgabe der Abhängigkeit. Nun wird man vielleicht sagen, „ich bin doch nicht abhängig!” Doch das stimmt weitgehend nicht.

Ich bin abhängig von meinen liebgewonnen Gewohnheiten, von Menschen, die mich nähren, durch ihre Liebe und Anerkennung zu mir. Ich bin abhängig von meinem Beruf oder meinem Status (wie Menschen mich sehen). Das sind nur die äußeren Abhängigkeiten. Die inneren sind vielleicht noch schwerer aufzugeben. Diese könnten mein Selbstbild betreffen. Wie sollen andere mich sehen? Kann ich diese oder jene Eigenschaft zeigen oder loslassen? Mögen meine Freunde mich dann noch? Dann bin ich vermutlich allein!

Und vielleicht steckt da noch ganz tief die Hoffnung, dass meine Mutter (ersatzweise mein Partner, meine Partnerin) mir doch noch meine frühkindliche Mangelerfahrung nimmt. Indem sie mich doch noch ganz und gar annimmt und liebt, bedingungslos.

Das alles, besonders die letzte Hoffnung, die vielleicht gar nicht oder nur halb bewusst in mir schlummert, verhindert, dass ich von nun an selbst die Verantwortung für mich übernehme. Dass ich für mich selbst sorge. Ich kann mir auch dazu Begleitung suchen, jedoch eine, die mich nicht hätschelt, sondern mich liebevoll konfrontiert an den Stellen, an denen ich meine Verantwortung wieder anderen übergeben will.

Wie kann man nun spüren, ob man wirklich diesen Schritt in die Unabhängigkeit gemacht hat?

Es gibt Signale, die uns mehr und mehr erreichen. Menschen fühlen sich durch uns angezogen. Man wünscht sich, mit uns in Kontakt zu sein. Daneben genießt man das Alleinsein. Im wörtlichen Sinne heißt es sowieso: „Alles ist eins”.

Das Leben erfüllt sich von selbst. Liebe zur mir und für andere drängt sich in mir in den Vordergrund. Und ganz deutlich entsteht unendliche Dankbarkeit. Dankbarkeit für immer mehr Menschen, die mein Leben beeinflusst haben. Dankbarkeit für die Natur, für göttliche Fügungen, für die Vielfalt der eigenen Erfahrungen, für die reichliche Liebe.

Peter Hellwig Okt.03

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