Was zeichnet die Mitte des Lebens aus, also die Zeit zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr? Der Baum ist gepflanzt, das Haus gebaut, der Hund und die Kinder sind groß, vielleicht schon aus dem Haus. Die berufliche Karriere hat ihren Schwung ein bisschen verloren. Oder bestimmt im Gegenteil jetzt die Arbeit das Leben? Finden oder nehmen wir uns die Zeit und die Gelassenheit, nach Innen zu schauen, Fragen zu stellen?

Worin besteht eigentlich der Sinn des Lebens? Sind wir nicht ständig in irgendeiner Weise unbefriedigt? Der Konsum erfüllt diesen Mangel nur kurzfristig oder gar nicht mehr. Hat sich der Sinn des Lebens im Laufe der Jahre vielleicht unbemerkt verändert; – haben wir ihn überhaupt schon kennen gelernt?

Wir können vielleicht erkennen, dass die Herausforderungen unserer jungen Jahre jetzt keinen neuen Schwung mehr in uns auslösen.

Ein Freund sagte zu mir, er wolle sich jetzt wieder auf sportliche Ziele ausrichten. Wir sind im gleichen Alter, über 50, und ich wunderte mich über seine Aussage. Wir hatten früher zusammen Leistungssport betrieben und einen ähnlichen beruflichen Lebensweg vollzogen. Beide haben wir uns für die Psychotherapie entschieden. Für mich ist darin die spirituelle und philosophische Betrachtung immer wichtiger geworden. Ich betrachte die Psychotherapie, da ich Heilpraktiker bin und in der Regel mit Selbstzahlern arbeite, eher als eine Begleitung, die dem Wachstum des Menschen dient, denn als etwas, was einem kranken Menschen angeboten wird. Ich kann mich also als Lehrer und Unterstützer den Ressourcen der Menschen widmen und muss sie nicht mit psychopathologischen Begriffen belegen. Ich fragte meinen Freund, ob es für ihn so etwas wie eine spirituelle oder philosophische Betrachtung der Welt gäbe. Er verneinte! Ich muss zugeben, ich war ein bisschen enttäuscht. Warum schreibe ich diese Geschichte in diesen Text? Vielleicht weil ich sehe, dass Menschen im mittleren Lebensalter dazu neigen, sich den alten Dingen wieder zuzuwenden? Den Dingen, die ihnen Befriedigung brachten, bevor die individuell verfügbare Zeit durch Familie und Beruf so knapp geworden war? Für viele Menschen mag das richtig sein. Ich möchte hier jedoch den Blick nach vorn richten, für Neues öffnen.

Beziehungen bestimmen unser Leben. Unsere partnerschaftliche Beziehung, die uns jetzt vielleicht den größten Teil unseres Lebens begleitet, ist nicht mehr so frisch, wie am Anfang. Die meisten Menschen finden sich damit ab. Und es endet wie im Märchen: „Und sie lebten friedlich bis zu ihrem Tod. Und wenn sie nicht gestorben sind, ….“ Doch was zeichnet dieses Leben aus? Gibt es Tiefe, Freude, liebevolle Berührung? Worin liegt der Sinn des jetzt vor uns liegenden Lebens? Manchmal gebe ich meinen Klienten eine Aufgabe: „Stellen Sie sich vor, sie sind jetzt 80 Jahre alt und sitzen vor ihrem Haus auf einer Bank, schauen in den Sonnenuntergang und denken über ihr vergangenes Leben nach. Was ist das, was Sie rückblickend als das Wichtigste für sich selbst deklarieren? Was hat ihnen am meisten Befriedigung gegeben?“ Die Antworten liegen dann meistens im sehr persönlichen Bereich. Sie beziehen sich auf die Kinder, deren Gesundheit, auf Liebesbeziehungen, auf Reisen, auf Situationen, in denen man anderen Menschen in Schwierigkeiten helfen konnte. Kaum geht es um Besitz oder Geld. Das was bleibt sind die Erinnerungen an eine befriedigende Zeit in Beziehungen.

Wodurch werden Beziehungen befriedigend?

Kürzlich fragte ich in einer Paartherapie einen Klienten was er sich von seiner Frau wünsche. „Es wäre schön, wenn sie öfter Zuhause wäre und Zeit für mich hätte,“ sagte er. Ich harkte nach und fragte wozu sie Zeit haben solle: „Ich wünsche mir, zusammen zu sitzen und so wie früher Pläne zu schmieden. Das war immer so schön.“ „Wie ist das schön? Was ist die besondere Qualität darin?“ fragte ich. „Wir tun etwas gemeinsam und haben die gleiche Ausrichtung dabei!“ antwortete er. In der Tat ist es eine schöne Qualität mit jemanden eine gemeinsame, sich gegenseitig stärkende, Ausrichtung zu entwickeln. Doch was fehlt an dieser Stelle? Etwas miteinander zu tun, ist sehr schön. Es verbindet und eint uns. Es führt aber auch oft dazu, dass wir uns selbst nicht mehr spüren, individuell und unsere eigenständige Kraft. Manchmal ist es sogar so, dass wir uns selbst erst dann zu spüren glauben, wenn die Partnerin oder der Partner wieder mit uns verbunden ist.

Kennen wir eine Begegnung in der jetzt entstehenden Gegenwart? Haben wir jemals die Erfahrung gemacht, ganz und gar in dem sich jetzt entwickelnden Augenblick heimisch zu sein? Haben wir erlebt, wie energetisch sich ein Augenblick in absoluter Präsenz anfühlt? Wie sich die Aufregung in eine vielleicht erotische Erregung hinein entwickelt, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was gleich passieren wird? Kennen wir Momente, in denen wir so sehr in die Gegenwart hingegeben sind, dass wir keine Gedanken entwickeln, die sich mit Sicherheit und Zukunft beschäftigen? Und dieses gar in der Begegnung mit einem anderen Menschen? Vielleicht mit der Partnerin? – Darin liegt eine unglaublich tiefe Befriedigung, die oft sogar sehr unspektakulär und manchmal gleich danach wieder vergessen ist. Denn wir befinden uns in einem Raum jenseits der gedanklichen Einordnung. Und wenn etwas nicht in Gedanken gefasst wurde, ist eine Erinnerung meistens schnell verblasst. Wir erleben es, fühlen uns gut hinterher und wissen kurze Zeit später gar nicht mehr warum. Und vielleicht sagen wir uns dann, dass wir uns wohl nur etwas eingebildet haben.

Das was ich hier beschreibe, ist etwas, was jungen Menschen oft sehr viel weniger bewusst ist, als älteren. Warum erleben wir in Seminaren und in der Aufstellungsarbeit so wenig wirklich junge Menschen? Ich vermute, dass sie andere Entwicklungsschritte ihres Bewusstseins auf der Agenda haben, als die Älteren. Ohne, dass ich damit bewerten möchte, vermute ich, dass junge Menschen erst einmal ihre Identität und ihre Persönlichkeit zu entwickeln haben, bevor sie dahin kommen, zu erkennen, dass es etwas Erweitertes gibt, als die persönliche Ebene. Ich habe mal gehört, dass der Buddhismus die Entwicklung in Siebenjahresschritten beschreibt. Dementsprechend geht man davon aus, dass mit 49 Lebensjahren, also nach 7 mal 7 Jahren, die spirituelle Entwicklung des Menschen in den Blickpunkt rückt. – Wie schon gesagt, der Hund ist groß … usw.. Der Mensch ist dann frei, sich um seine Seele zu kümmern. Während die früheren Jahre der Basislegung für die nächste Generation dienten.

Der Gedanke, sich einem inneren Weg zu verschreiben, ist dennoch reizvoll. Angepasst an unsere Kultur heißt dieser Gedanke jedoch für mich auch, dass es darum gehen kann, neue Werte in unsere Beziehungen und in die Gesellschaft zu bringen.

Dazu braucht es eine gewisse Reife und auch die Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen. Dabei können wir erkennen, dass wir weitgehend in sich wiederholenden Reaktionsmustern leben. Wir leben in der Routine.

Denn das zu erkennen ist ein Teil der Spiritualität. Sind wir in der Lage zu erkennen, dass es mehr gibt, als unser Denken uns vorgibt? Dass es mehr gibt, als sich noch mehr anzustrengen, um die Zukunft so sicher wie irgend möglich zu gestalten? Können wir uns vorstellen, dass es so etwas gibt, wie einen natürlichen Fluss des lebendigen Seins? In dem es leicht wird? In dem wir Situationen annehmen wie sie sind und den naheliegendsten Schritt vollziehen, ohne in Ärger oder Wut zu gelangen? In dem wir immer noch mit Situationen umgehen, ohne daraus ein Problem zu machen? Oder uns persönlich dafür abwerten oder aufwerten, wenn es nicht gelingt oder doch?

Die Lebensmitte birgt sehr viel mehr Freiheit, als wir in unserer dem Jugendwahn verfallenen Medienlandschaft erkennen können. Eine Freiheit liegt vor allem darin, den gesellschaftlichen Konventionen nur dann zu folgen, wenn sie einem selbst zusagen.

 


Ich gehe an dieser Stelle durchaus auch davon aus, dass wir nicht nur einen Partner in unserem Leben als Beziehungspartner begleiten. Dennoch gibt es noch einen beachtlichen Teil an langjährigen Beziehungen und Ehen. Oft wird das bereits vergessen.

Peter Hellwig

Link zum Thema Eifersucht!

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